Seit dem vergangenen Wochenende gibt’s auf LinkedIn und Instagram – zumindest unter Marketern und Influencern – nur noch ein Thema: die neue App Clubhouse. In kürzester Zeit hat sie sich im App Store mittlerweile zwischen den Messenger-Apps Signal und Telegram positioniert. Was verbirgt sich hinter dem Hype?
Audio-only-App per Einladung
Clubhouse ist eine Audio-only-App, deren User bei Gesprächen – quasi Live-Podcasts – zuhören oder sich aktiv beteiligen können. Die App bietet, anders als jedes andere soziale Netzwerk, keine Möglichkeit zum Posten, Kommentieren, Teilen oder Liken. Ebenfalls nicht möglich ist die eigenständige Registrierung – wer dabei sein will, benötigt eine Einladung eines bestehenden Users.
Wenn wir also der Frage nachgehen, wodurch der aktuelle Hype ausgelöst wird, lautet die schlichte Antwort erst einmal: Verknappung. Denn nicht nur, dass eine Einladung benötigt wird, die App steht bisher auch nur iPhone-Usern zur Verfügung. Befeuert wird der Hype natürlich auch durch diejenigen, die bereits „drin“ sind: Die können nämlich nur zwei weitere Kontakte einladen und weisen sich wirksam auf LinkedIn und Co. als Clubgänger aus. FOMO (=Fear Of Missing Out) at its best!
Einmal im Clubhouse angekommen, stehen den Usern verschiedene „Rooms“ zur Verfügung. Hier existieren der Deep Dive zu diversen Marketing-Themen, die Vorstellungsrunde und der Klönschnack am Mittag oder Abend nebeneinander. Genauso ist es möglich, geschlossene Gruppen mit selbst gewähltem Personenkreis zu eröffnen.
In einem kleinen Pro & Contra schauen wir uns Clubhouse einmal genauer an.
Warum ist Clubhouse reizvoll?
- In den USA verbreitete sich Clubhouse von selbst, weil Stars aus verschiedensten Branchen die App in ihren Stories erwähnen: Prominente wie Oprah und Ashton Kutcher sind ebenso dabei wie Gary Vaynerchuk, Marc Andreessen oder Naval Ravikant aus der Influencer/Entrepeneurship-Szene.
Ähnlich verhält es sich in Deutschland: Kai Pflaume wurde zwar bisher noch nicht gesichtet, dafür gibt die deutsche Influencer-Szene um Caro Daur, Louisa Dellert oder Diana zur Löwen ein Stell-dich-ein. Joko Winterscheidt, Luisa Neubauer, Dunja Hayali, Dorothee Bär und Christian Lindner sollen ebenfalls bereits „in da club“ sein. Genau dieser Umstand vermittelt den Nutzern eine Nähe zu den Influencern, denen sie auf anderen Kanälen ohnehin schon folgen: In der Slot-Auswahl ist leicht ersichtlich, wer drin ist. Die Hoffnung, Caro Daur persönlich zu lauschen oder sogar mit ihr zu plaudern, ist wohl am ehesten vergleichbar mit einem Meet & Greet.
- Bloß nichts verpassen! Das gilt gleichermaßen für die App selbst („Wer kann mich einladen?“) wie für deren Inhalte: Die verschiedenen Talks werden nicht gespeichert und stehen dadurch nicht on-demand zur Verfügung. Wer also den Talk mit Caro Daur erleben will, muss „always on“ sein, um den Slot nicht zu verpassen. Die Sessions können von den Content Creatorn auch vorgeplant werden, so gibt’s immerhin die Benachrichtigung aufs Smartphone.
Gleichzeitig bedeutet das Format Freiheit für Content Creator: Der Live-Podcast ist das fertige Produkt, das durch den Gesprächsverlauf gestaltet wird. Wenn’s zuende ist, verschwindet der Talk von der Plattform und damit auch der Inhalt.
- Das Format „Audio only“ ist gewissermaßen intim. Es ist wie „Mäuschen spielen“ in einer Telefonkonferenz: Echte Menschen reden über Erfahrungen und Struggles im Berufsalltag oder geben wertvolle Tipps für den eigenen Bereich.
Per Handzeichen kann der Host weitere Teilnehmer:innen hinzuschalten, die dann mitdiskutieren können. An dieser Stelle wird deutlich, dass Clubhouse nicht die nächste Facebook/Instagram-Kopie ist, sondern – hoffentlich – gehaltvolle Diskurse von Mensch zu Mensch ermöglicht.
- Die App kommt zum richtigen Zeitpunkt: Die Welt befindet sich im Lockdown, wir sitzen im Homeoffice und haben plötzlich die Möglichkeit, uns in Echtzeit auszutauschen. Dabei können wir uns nicht nur mit Kolleg:innen treffen, sondern auch Speaker:innen hören, die vielleicht sonst nur auf großen Konferenzen sprechen. Und zwar immer und überall: Beim Joggen, spazieren, Sofa etc.
Ein großer Vorteil dabei ist Audio-only: Im Gegensatz zur Story bei Instagram spielt es keine Rolle, wie ein:e Speaker:in aussieht. Ungekämmt im Pyjama funktioniert Clubhouse genauso gut wie im Business-Dress. Während auf Instagram der Gesamteindruck stimmen muss und für einen Reichweiten-Schub verantwortlich sein kann, besinne ich mich bei Clubhouse auf das Wesentliche: Mit wem spreche ich über was? Zudem geht mir niemand auf den Geist – ich muss den Talk schließlich gar nicht erst betreten.
- Clubhouse suggeriert zumindest die einfache Möglichkeit, sich selbst oder auch ein Unternehmen zu platzieren: Wer regelmäßig spannende Themen eröffnet, wird seine Zielgruppe finden. Vorstellbar wären gesponserte Talks, bei dem Unternehmen ihren Namen ins Spiel bringen. Schließlich wird auch Clubhouse sich finanzieren müssen. Zusätzlich können Unternehmen in eigenen Slots unmittelbar mit der Zielgruppe kommunizieren und direktes Feedback oder Wünsche zu Produkten erhalten.
Was stört an Clubhouse?
- Derzeit ist Clubhouse sehr elitär: Das liegt allerdings daran, dass ein kleines Team bisher nur die iPhone-App entwickelt hat. Dass eine Version für Android folgen wird, da bin ich mir bei anhaltendem Erfolg sicher. Die Invite only-Strategie schließt ebenfalls zahlreiche Nutzer:innen aus, die durchaus Interesse am Diskurs haben, aber weniger vernetzt wird. Mal sehen, ob sich die Anmeldung nach dem Abflauen des ersten Hypes ändert.
- Clubhouse zielt durch sein Invite only-System auf Begehrlichkeiten ab. Daher ist es interessant zu sehen, dass für den Eintritt sämtliche Datenschutz-Bedenken über Bord geworfen werden. Während LinkedIn zum Thema WhatsApp/Datenschutz-Aktualisierung derzeit heiß läuft, geben die gleichen Nutzer der neuen App Zugriff auf die eigene Mobilnummer, Kontakte, Audiofunktionen und lassen ihre Mailadresse verifizieren. Dabei sein ist alles!
Update vom 28. Januar 2021: Vom Verbraucherzentrale Bundesverband hat Clubhouse eine Abmahnung erhalten. Verbandschef Klaus Müller beanstandete "gravierende Mängel beim Datenschutz", die nur auf Englisch verfügbaren AGB und das Fehlen eines Impressums. Bei einer Weigerung der App-Betreiber Können eine Klage sowie ein Bußgeld die Folge sein.
- Kritisch ist ebenfalls, dass Clubhouse bereits in seiner technischen Funktion diskriminiert: Gehörlose sind beim Audio-only-Format ausgeschlossen. Zudem liefert die App sehr viel Raum – quasi unendlich viele Rooms – für hate speech: Jedem User ist es möglich, Talks zu initiieren. Tendenziell kann sich die App dadurch – ähnlich wie Telegram – zu einem Netzwerk entwickeln, das Räume für radikale Gedanken schafft. Ob bereits ein Monitoring stattfindet, ist nicht bekannt. Die Moderation wird bei zunehmender Größe sicherlich nicht leichter: Ist ja alles live. Da haben schon so manche Talk-Gäste im TV für kleinere und größere Skandale gesorgt.
Mein Fazit
Nach den ersten Stunden in der App steht für mich fest: Es gibt noch viel zu entdecken. Talks mit Influencer-Prominenz wecken das Interesse, Formate von „gewöhnlichen“ User:innen sind noch in der Findungsphase. Jeder scheint noch auszuchecken, was auf Clubhouse so geht. Die Möglichkeiten des erweiteren Live-Podcast-Formats mit passiven und aktiven Zuhörern scheinen unendlich. Es bleibt spannend zu sehen, wer sie nutzt. Unternehmen haben genau jetzt die Chance auf Reichweite, da viele User:innen noch im Erkundungsmodus sind. Demgegenüber stehen nur wenige Nachteile bzw. einige Unbekannte: Inwiefern Inhalte überwacht oder moderiert werden, wird die Zeit zeigen. Das Gute ist: Jede:r kann seine Zeit im Club selbst (mit)gestalten. Die Chance sollte niemand, der die App bereits nutzen kann, liegen lassen.
Ich würd mich freuen, dich demnächst im Club zu treffen!
Jens
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Bildnachweis Titelbild: DisobeyArt | istockphoto.com
Autor/in
Jens Prüwer Public Relations
Nachdem sich Jens bei einem Gitarrenmagazin beruflich mit seinem Hobby beschäftigen durfte, zog es ihn in die Unternehmenskommunikation. Im Anschluss an ein Praktikum sowie ein Volontariat in Pressestellen im Hamburger Profisport landete er im Oktober 2016 im Social Media Marketing- und 2020 im PR-Team von webnetz. Während er sich dort ausführlich mit den Möglichkeiten der sozialen Netzwerke befasst, stehen in seiner Freizeit seine Liebsten - Familie, Freunde und die Musik - im Vordergrund.
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